Bruno Martin: Gibt es eine persönliche Reinkarnation?

Bruno Martin gibt in seinem Artikel "Gibt es eine persönliche Reinkarntion?" Lösungsansätze, um mit dem Thema Reinkarnation umzugehen, ohne den gesunden Menschenverstand oder das logische Denkvermögen einzuschränken. Die traditionelle Reinkarnationslehre habe sich in allen Kulturen und Religionssystemen verbreitet. Im Christentum wurde die Wiedergeburtslehre durch den Glauben an die Erlösung von der Erbsünde verworfen. Im Mittelalter hingegen wurde der Begriff "Hölle" ins Gegenteil gekehrt. Das Reich der Göttin Hel (die "Helle") wurde als Ort der Reinigung und Wiedergeburt gesehen. Martin glaubt, daß die christlichen Denker der Anfangszeit sich immer mehr vom Reinkarnationsglauben entfernt hätten, da die menschliche Würde und Einmaligkeit im Christentum eine bedeutende Rolle gespielt hätte. Nach der wissenschaftlichen Revolution und der Aufklärung suchten immer mehr Menschen neuen geistigen Halt; hinduistische und andere östliche Glaubenssysteme gewannen zunehmend an Einfluß. Der Westen würde vor allem durch die Neo-Theosophie und die Anthroposophie geprägt. Heute glauben bereits 8 - 10 % der Bundesbürger an Reinkarnation.

"Der Glaube an eine persönliche Wiedergeburt trieb und treibt bunte Blüten." - so Martin. Viele Sekten verbreiteten eine Art "Gehirnwäsche". Die Begründerin der europäischen Theosophie, Frau H. P. Blavatsky, stellte in den Augen von Martin ein "brisantes Gemisch" von Rassenlehre, Reinkarnation und Karma her, die im 19. Jahrhundert zu einer gefährlichen Ideologie auswuchs. Die Idee von Schuld und Strafe des Christentums, wird in der theosophischen Vorstellung vom Karma abgelöst. Der indische Denker Sri Aurobindo wendet sich gegen dieses System von Zuckerbrot und Peitsche. Das theosophische Gedankenbild könne auf den ersten Blick unmoralisch erscheinen, es formuliere eine Art Fortsetzung der Darwin'schen Evolutionslehre in die jenseitige Welt. Die Gesetze von Karma und Reinkarnation seien zu komplex, um sie wie Aurobindo sagt, "durch irgendein göttliches Gesetzbuch primitiver, barbarischer Gerechtigkeit" in mechanistischer Abfolge geschehen zu lassen.

Wahre Erinnerungen an frühere Leben seien nach Martin höchst selten. Jedoch sei es den fünf hohen Wissenschaften des Yoka möglich gewesen, sich an frühere Existenzen zu erinnern. Buddha hingegen habe sich geweigert, die philosophische Folgerung daraus zu akzeptieren. Nur die Brahmanen wollten aus der Erinnerung an Vorexistenzen, die Eweigkeit des Selbst und der Welt schließen.

Martin beurteilt die Reinkarnationstherapie als nützliche psychologische Methode, jedoch erlebe der Klient keine persönliche Erfahrungen, sondern Impregnationen aus dem "morphogenetischen Feld" (Sheldrake). Nach Keyserling sei es durch Kontakt mit dem morphogentischen Feld oder dem "archetypischen" Bereich der Seele möglich, "Erinnerungen an andere Leben" zu haben. Sri Aurobindo habe eine noch differenzierte Auffassung von der Reinkarnation. Er hält die gewöhnliche Wiedergeburtstherapie für einen Irrtum des "physischen Mentals". Die Vorstellung von der Seele, die unverändert von einer Geburt zur anderen überlebe resultiere aus der "Unfähigkeit des physischen Mentals, über seine eigene, in diesem einzelnen Dasein in Erscheinung getretene Gestalt des Selbst hinauszuschauen." - betont Sri Aurobindo. Ein weiterer Kritikpunkt der theosophischen Wiedergeburtslehre sei die strenge Kausalität. "Würde Wiedergeburt tatsächlich unter der Herrschaft eines Systems von Belohnungen und Strafen stehen und wäre es die ganze Absicht des Lebens, den verkörpterten Geist zu belehren, gut und moralisch zu sein - vorausgesetzt, das wäre die Absicht im Grundprinzip des Karma und nicht das, was es in jener Darstellung zu sein scheint, nämlich ein mechanistisches Gesetzt von Vergütung und Vergeltung ..." - so Sri Aurobindo. Nur zu oft lehre das Leben, daß der Gute für sein Gutsein leide, während der Bösewicht trotz seiner Bosheit Glück habe. Die Erinnerung an mehrere Lebensläufe wäre nur ein Hindernis und eine Bürde, "die die freie Entfaltung einer neuen Persönlichkeit und ihre Fähigkeit, neue Erfahrung zu sammeln, erschweren. Die Ausführungen Sri Aurobindos machten deutlich, daß Reinkarnation genausowenig wie Karma eine mechanistische Wiederholdung alter Muster sein könne.